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Gabriele Stangl, Pastorin

In der Welt berichtet am 24. April 2023 Redakteurin Claudia Becker, dass vor 22 Jahren  Gabriele Stangl die weltweit erste Babyklappe an einer Klinik einrichtete und dafür gesorgt hat, dass Frauen anonym entbinden können. Ihrem Engagement wehte von Anfang an scharfer Wind entgegen.

Gabriele Stangl hat ein Buch („Herzenskinder“, Adeo) über ihr Engagement geschrieben, dem von Anfang an scharfer Wind entgegenwehte: Babyklappen und anonyme Geburten, so die Kritiker, würden gegen das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Wurzeln verstoßen. 2009 forderte der Deutsche Ethikrat deshalb sogar die Abschaffung dieser Möglichkeiten. Zum Buch heißt es: „Lesen Sie von den Schicksalen der Kinder, die Gabriele Stangl entgegen vieler Widerstände von Behörden und Politik in Obhut geben und begleiten konnte. Wie haben die Kinder von ihrer Herkunft, von ihrer Bauchmama erfahren? Und wie hat dies ihr Leben geprägt bei ihrer späteren Familie und ihren Herzmamas? Emotional packend skizziert dieses Buch tatkräftige Unterstützung für die Schwächsten und Hilfsbedürftigen in unserer Gesellschaft.“


Anonyme Entbindung

Berliner Krankenhaus bietet verzweifelten Frauen Hilfe

In Deutschland gibt es etwa 130 Kliniken, die Frauen eine anonyme Geburt ermöglichen. Das Berliner Krankenhaus Waldfriede ist eine davon. Verzweifelte Schwangere können dort entbinden und ihr Kind zur Adoption frei geben. Doch das Angebot bewegt sich in der rechtlichen Grauzone. Auch das Konzept der „Baby-Klappe“ ist weiterhin umstritten.

Max Stangl

Gabriele Stangl, Pastorin des Zehlendorfer Krankenhauses Waldfriede und Initiatorin der dortigen Babyklappe. Sie hilft verzweifelten Müttern (Foto: Lambert)

Isabell träumt jede Nacht von der Geburt ihres Sohnes. „Dabei ist das jetzt schon einige Monate her“, sagt die zierliche 19-Jährige und streicht sich das lange blonde Haar aus dem Gesicht. „Er sah so zart aus, so wunderschön“, die Stimme der jungen Frau zittert, wenn sie von ihrem Kind erzählt. „Ich habe ihn Janic genannt“, sagt sie. Isabell hat ihren Sohn im Zehlendorfer Krankenhaus Waldfriede zur Welt gebracht und gleich nach der Geburt zur Adoption freigegeben. „Ich hoffe, er wird mich dafür niemals hassen. Aber ich hätte ihm doch nichts bieten können. Nun wird er es besser haben, weil er eine richtige Familie hat“, sagt sie. Die 19-Jährige ist froh darüber, dass alles geregelt ist. Ursprünglich hat sie anonym entbinden wollen. Im Krankenhaus hat sie es sich dann anders überlegt: „Ich habe mich für die offene Adoption entschieden. Jetzt kann ich mich jederzeit erkundigen, wie es meinem Sohn geht, ihn später sogar wiedersehen.“ Gabriele Stangl, Pastorin im Krankenhaus Waldfriede und Initiatorin der dortigen Babyklappe, kann sich an den ersten Anruf Isabells genau erinnern. „Die junge Frau hatte im Internet herausgefunden, dass man bei uns anonym entbinden kann. Wir haben dann gleich für den nächsten Tag einen Termin gemacht.“ Das erste Gespräch sei sehr vertraut verlaufen. „Schon nach einer Stunde hat sich Isabell entschieden, ihren Namen preiszugeben, damit ihr Kind später einmal weiß, wer seine Mutter ist und seine Wurzeln kennenlernen kann“, erzählt Stangl. Isabell ist kein Einzelfall. Gegenwärtig ruft fast jeden Tag eine junge Frau im Krankenhaus Waldfriede an und erkundigt sich nach der Möglichkeit, anonym zu entbinden. „Die Lebensperspektiven vieler Menschen werden immer schwieriger“, sagt Gabriele Stangl. „Viele verlieren ihre Arbeit, das normale Leben wird immer teurer. Das macht die Angst davor, ein Kind versorgen zu müssen, nur noch größer.“ Probleme mit den Eltern oder dem Partner seien weitere Auslöser dafür, dass Frauen sich entscheiden, ihr Kind nicht zu behalten. In Deutschland gibt es gegenwärtig etwa 130 Krankenhäuser, die eine anonyme Geburt ermöglichen. Wegen der rechtlichen Grauzone sind Krankenhäuser zu einem solchen Angebot aber nicht verpflichtet. Im Krankenhaus Waldfriede haben sich in den vergangenen Jahren über 100 Frauen gemeldet, um dort anonym zu entbinden. Nur fünf von ihnen sind am Ende tatsächlich anonym geblieben. Die anderen haben die vertrauensvolle Umgebung und die vielen Hilfsangebote von Gabriele Stangl und ihrem Team dazu gebracht, ihren Namen schließlich doch preiszugeben. „Das ist wichtig für das Kind, es sollte wissen, wer seine Mutter ist“, sagt Stangl. Außerdem würden die Frauen immer die Möglichkeit haben, zu erfahren, wie es ihren Kindern geht und vielleicht auch Kontakt zu ihnen aufzunehmen können. Die anonyme Geburt sei hingegen eine Einbahnstraße. Nie wieder würden Frauen, die sich dafür entscheiden, von ihren Kindern hören. Angst vor den Reaktionen der Eltern Auch Isabell erinnert sich noch gut an das erste Telefonat mit Gabriele Stangl. „Ich hatte solche Angst davor und den Anruf immer wieder hinausgeschoben“, sagt sie. Sie habe sich gefragt, was die Leute wohl von ihr denken würden. „Schließlich habe ich meine Schwangerschaft vor allen verheimlicht und mir sogar selbst eingeredet, dass alles in Ordnung ist und ich nur ein wenig zugenommen habe.“ Am größten sei die Angst vor der Reaktion der Eltern gewesen. „Mein Vater hätte mich auf die Straße gesetzt.“ Isabell ist sich sicher, dass sie das nicht verkraftet hätte, weil sie sehr an ihrer Familie hängt. Ohne Ausbildung und ohne Arbeit aber hätte sie allein kaum für sich und das Kind sorgen können, fügt sie hinzu. Schließlich war auch vom Vater des Kindes keinerlei Hilfe zu erwarten. „Das war nur eine ganz kurze Beziehung, und er wollte auf keinen Fall ein Kind.“ Für Isabell war von Anfang an klar, dass niemand etwas von ihrer Schwangerschaft erfahren durfte. Und doch hat sie nach Hilfe gesucht. „Ich hatte Angst davor, das Kind allein zur Welt zu bringen, Angst vor Komplikationen.“ Diese Angst habe sie schließlich den Weg ins Krankenhaus Waldfriede finden lassen. „Dort war dann alles gar nicht mehr so schlimm“, erinnert sich Isabell. „Schon als mich Frau Stangl an der Pforte in Empfang nahm und mich umarmte, war mir klar, dass ich es gut haben würde.“ Endlich habe sie mit jemandem über ihre Schwangerschaft reden können. „Das war so erleichternd.“ Glücklich ist Isabell auch darüber, dass sie mit aussuchen durfte, welche Familie ihren Kleinen adoptieren wird. „Die Frau von der Adoptionsvermittlung hat mir Fotos verschiedener Familien gezeigt und von ihnen erzählt“, sagt Isabell. Ein Foto habe ihr besonders gefallen. „Die Familie sah so freundlich aus und was ich über sie erfahren habe, hat mich absolut überzeugt.“ Der Abschied von ihrem Sohn ist der jungen Frau dennoch sehr schwer gefallen. „Ich habe von Anfang an eine enge Bindung zu ihm verspürt und hätte ihn am liebsten mit nach Hause genommen“, sagt sie. Immer wieder habe sie den Kleinen in den Tagen bis zur Adoption in den Arm genommen und gestreichelt, ihn an sich gedrückt. „Doch mir war auch klar, dass ich nicht gut für ihn sorgen können würde. Deshalb habe ich mich für die Adoption entschieden.“ Brief an den Sohn Isabell hat einer offenen Adoption zugestimmt. Sie wird deshalb zu jeder Zeit erfahren können, wie es ihrem Kleinen geht und wie er sich entwickelt. Sie wird Fotos sehen können und auch Kontakt zu ihrem Sohn aufnehmen dürfen, wenn sie das möchte. „Vielleicht meldet er sich später ja mal selbst bei mir“, sagt die 19-Jährige leise. Auch dass sie ihm einen Brief mitgegeben hat, erzählt sie. „Da habe ich rein geschrieben, weshalb ich mich so entschieden habe und ihm alles erklärt. Ich will doch, dass er mich später versteht und mir nicht böse ist.“ Isabell möchte anderen Frauen Mut machen, ähnlich zu handeln wie sie selbst. „Ich hätte nicht gewusst, was ich tun soll ohne die Hilfe von Gabriele Stangl und ihrem Team“, sagt sie. Und denkt dabei auch an das Baby, das von seiner Mutter getötet und in einem Altkleider-Container versteckt worden ist. „Ich kann mich durchaus in die Situation völlig verzweifelter Frauen hineinversetzen“, sagt sie. „Ich hätte mein Kind aber nie getötet. Wenn ich es allein entbunden hätte, hätte ich es in eine Babyklappe gebracht.“ Zum Glück sei das nicht nötig gewesen. In Berlin setzen sich die Grünen für die Legalisierung anonymer Geburten ein. Das Risiko, dass jemand sein Kind aussetzt oder tötet, würde verringert, wenn es neben den Babyklappen für Mütter die Möglichkeit der legalen anonymen Geburt gäbe, sagt die Berliner Grünen-Chefin Irma Franke-Dressler. Isabell bestätigt das: „Im Notfall ist das besser, als allein zu entbinden und dann vielleicht eine Kurzschlusshandlung zu begehen.
Quelle
: Berliner Morgenpost vom Sonntag, 15. März 2009 11:18 – Von Regina Köhler http://www.morgenpost.de/berlin/article1055107/ Berliner_Krankenhaus_bietet_verzweifelten_Frauen_Hilfe.html (09-03-15)

Initiatorin der “Babyklappe” in Berlin-Zehlendorf mit Verdienstmedaille geehrt

Gabriele Stangl mit Bezirksbürgermeister Norbert Kopp. – Bild: Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf, Berlin

[Berlin (APD)]  Pastorin Gabriele Stangl, Seelsorgerin des adventistischen Krankenhauses “Waldfriede” in Berlin-Zehlendorf, erhielt in Berlin von dem Bürgermeister des Bezirks Steglitz-Zehlendorf, Norbert Kopp, die von Bundespräsident Christian Wulff verliehene Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Das Bezirksamt begründete in einer Pressemitteilung die Ehrung, wie folgt: “Frau Stangl setzte sich in beeindruckender Weise für Frauen in psychosozialer Not und deren Babys ein: Sie initiierte im Jahr 2000 die ´Babyklappe‘ im Krankenhaus Waldfriede in Berlin-Zehlendorf, in der verzweifelte Mütter anonym ihre Babys abgeben können.”

1961 in Braunau am Inn/Österreich geboren, unterrichtete die studierte Theologin und Pädagogin am österreichischen Theologischen Seminar Schloss Bogenhofen der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten Hebräisch, alttestamentliche Fächer und Deutsch für Ausländer, bevor sie Seelsorgerin im adventistischen Seniorenheim “Haus Wittelsbach” im oberbayerischen Bad Aibling und seit 1996 im Krankenhaus “Waldfriede” in Berlin wurde. Die private Laienorganisation “Association of Adventist Women” (Verband adventistischer Frauen) in Seattle/US-Bundesstaat Washington hatte schon vor drei Jahren Gabriele Stangl zur “Frau des Jahres 2008″ gekürt.

Bernd Quoß, Geschäftsführer des Krankenhauses “Waldfriede” würdigte die “schwere Aufbauarbeit” der „Babyklappe“ durch Pastorin Stangl, die mit der Ordensverleihung nun auch die öffentliche Anerkennung gefunden habe. Er betonte, dass die Seelsorgerin diese Arbeit fast ausschließlich in ihrer Freizeit geleistet habe und dabei auch auf vielerlei Widerstand gestoßen sei.

Die “Babywiege”, wie die “Babyklappe” in “Waldfriede” genannt wird, ist ein grasgrüner Kasten. Er befindet sich uneinsehbar an der Rückseite des Hauses A der Klinik und ist durch einen ausgeschilderten, nicht videoüberwachten Eingang erreichbar. Wenn eine Mutter die Klappe öffnet und ihr Neugeborenes in das Wärmebett legt, lösen Sensoren zeitverzögert einen Alarm im ständig besetzten Pförtnerhaus aus, sodass die Mutter genügend Zeit hat, das Gelände unerkannt zu verlassen, berichtete Stangl. Das Baby werde sofort auf die Säuglingsstation gebracht und medizinisch versorgt. “Das vom Krankenhaus informierte Jugendamt übergibt es dann der Obhut einer speziell ausgebildeten Pflegefamilie.” Die Mutter dürfe während der nächsten acht Wochen ihr Kind zurücknehmen. Geschehe das nicht, werde es zur Adoption freigegeben.

Den Anstoß, die erste Babyklappe an einer Klinik in Deutschland einzurichten, habe Pastorin Stangl durch ihre Arbeit als Krankenhausseelsorgerin erhalten. “Eine 80-jährige Patientin sprach erst auf dem Sterbebett über die Tötung ihres Kindes. Eine andere Frau musste das Krankenhaus hochschwanger wegschicken, weil sie nicht bereit war, ihre Identität preiszugeben. Als ich hörte, dass in Hamburg eine Babyklappe einrichtet wird, kam mir die Idee, dass ein Krankenhaus am besten für so etwas geeignet ist.” Sie habe Mitstreiter nicht nur in der eigenen Klinik, sondern auch bei den zuständigen Behörden gefunden, meinte Stangl.

In den letzten zehn Jahren seien etwa 20 Neugeborene in die “Babywiege” gelegt worden, und rund 110 Frauen hätten im Krankenhaus anonym entbunden. “Doch 95 Prozent der Frauen, die bei uns anonym entbinden, haben nach intensiver Beratung den Mut, ihre Anonymität aufzugeben”, betonte Pastorin Stangl. Nicht selten würden sich nach einigen Monaten auch Mütter melden, die ihre Kinder in die “Babywiege” gelegt hätten. Ein Drittel der Frauen behalte schließlich das Neugeborene. Doch auch die meisten anderen Frauen, die ihr Baby zur Adoption freigäben, wollten, dass es später erfahre, wer ihre Mutter sei. Das Durchschnittsalter jener Frauen liege zwischen 27 und 34. “Alle haben große Angst, dass ihre Schwangerschaft aus den verschiedensten Gründen bekannt werden könnte”, teilte die Krankenhausseelsorgerin mit.

Das seit 1920 bestehende Akutkrankenhaus “Waldfriede” verfügt über 170 Betten und versorgt mit den Fachabteilungen Allgemeinchirurgie, Anästhesie, Brustzentrum, Gynäkologie und Geburtshilfe, Hand- und Fußchirurgie, Innere Medizin, Interdisziplinäres Beckenbodenzentrum, Intensivmedizin, Radiologie und den Zentren für Darm- und Beckenbodenchirurgie (Koloproktologie) sowie Diabetes und Diabetisches Fuß-Syndrom jährlich 9.000 Patienten stationär und 18.000 ambulant. Im letzten Jahr kamen dort rund 900 Babys zur Welt.

Quelle: http://www.eann.de/initiatorin-der-babyklappe-in-berlin-
zehlendorf-mit-verdienstmedaille-geehrt/10748/ (11-11-09)